Zukunft der Landwirtschaft heißt für Tierwohl zu sorgen
Die weltweite Corona-Krise hat in ihren verschiedenen Auswirkungen auch die deutsche Landwirtschaft getroffen. Verbraucher sind verunsichert und wollen verstärkt wissen, wo ihre Lebensmittel herkommen und unter welchen Bedingungen sie hergestellt werden. Mit der stärkeren Fokussierung auf das eigene Wohlergehen und die persönliche Gesundheit wurden in den letzten Monaten regionale Produkte für den Verbraucher immer attraktiver, denn sie verfügen über einen erhöhten Vertrauensvorschuss.
Durch verschiedene Vorfälle im Zusammenhang mit der Pandemie wurden Missstände in der Fleischerzeugung und -verarbeitung offenkundig, die zur Verunsicherung der Konsumenten beitrugen. Produzenten und Handel sehen sich deshalb heute veranlasst, verlorenes Vertrauen durch entsprechende Maßnahmen zurückzugewinnen. So gehört zum Aktionsprogramm verstärkt der Aspekt Tierwohl, der in der Vergangenheit sehr kontrovers behandelt wurde. Die bereits 2015 gestartete „Initiative Tierwohl“ widmet sich auf besondere Weise diesem Thema. Sie wird vom teilnehmenden Lebensmittelhandel finanziert und erhält aktuell weitere finanzielle Unterstützung, um die Landwirtschaft bei der Umsetzung von Tierwohlmaßnahmen zu unterstützen.
Nun ist es aber nicht so, dass alle landwirtschaftlichen Betriebe hinsichtlich Tierwohl bei Null anfangen. Ein Beispiel ist der von Familie Sagel geführte Bauernhof in Bottrop. Im September 2016 beendete der Hof die traditionelle Schweinezucht und stellte komplett auf tierfreundliche Haltung um. Alle Tiere auf dem Hof haben heute Platz, Luft und Auslauf und dürfen ein unbeschwertes Leben ohne Angst und Stress führen. Burkhard Sagel, das Oberhaupt der Familie, hat einen sehr engen Kontakt zu seinen Kunden. Sie können sich bei ihm davon überzeugen, woher das Fleisch kommt und wie er mit den Tieren umgeht. „Wenn die Kunden, die bei mir direkt kaufen, sehen, wie ich die Kühe behandele, spielt der Preis keine so große Rolle mehr,“ sagt Burkhard Sagel. Seit dem letzten Jahr bietet der Bauernhof sogar Kuh-Kuscheln an. Das ist eine tiergestützte Pädagogik mit Rindern, weil diese für diesen Zweck besonders geeignet sind. Es geht darum, wie man zu Kühen und Rindern Kontakt aufnimmt und wie man das Verhalten der Tiere deutet. Kühe sind ruhige, warme, zutrauliche und schmusige Tiere, für die man auch eine Patenschaft übernehmen kann. Das Ganze hat mit der Betreuung von Tageskindern begonnen, die tagsüber auf dem Hof betreut werden und damit einen wunderbaren Ausgleich zur stundenweisen Trennung von den Eltern erhalten. Begriffe, die Burkhard Sagel faszinieren, sind „tierfreundlich“, „sozial“ und „Landwirtschaft. „ Uns bereitet die Kombination aus tierfreundlicher Landwirtschaft und sozialem Engagement eine tiefe Zufriedenheit und Freude. Der Begriff soziale Landwirtschaft nimmt für mich mehr und mehr Form an“, betont Sagel.
Ein weiterer Betrieb, der eine besonders artgerechte und umweltschonende Tierhaltung praktiziert, ist der Meierhof Rassfeld in Gütersloh, ebenfalls Mitglied im Verein Ernährung-NRW e. V. Der seit fast 1.000 Jahren im Familienbesitz befindliche Bauernhof wird von Friedrich Wilhelm Haver Rassfeld mit Unterstützung seiner Familie geführt. Sein Credo ist: „Wir wissen, woher wir kommen, wir wollen Bewährtes erhalten und sinnvoll Neues einführen“. Bekannt ist der Meierhof durch seine Freiland-Haltung von Puten und Hähnchen, die nach den Neuland-Regeln besonders artgerecht in optimaler Umgebung aufwachsen. 8.000 Tiere, vom Küken bis zur Schlachtreife, leben auf dem Hof. Die Puten werden sechs Monate alt und damit vier Wochen älter als in konventioneller Haltung. Trotzdem sind sie etwa 2 Kilo leichter. Grundlage für den Speiseplan der Tiere ist das Gras der Wiesen und ein eigens für den Meierhof gemischtes Futter aus rein vegetarischen und gentechnikfreien Zutaten aus Deutschland. Haver Rassfeld erklärt: “Wir sagen ‚Ja’ zur bäuerlichen Landwirtschaft und zum Tierwohl – aber klar ‚Nein’ zur industriellen Tierhaltung, Schlachtung und Verarbeitung.“ Ohne lange Transportwege erfolgt die Schlachtung und Verarbeitung der Puten direkt auf dem Meierhof. Das bedeutet Produktqualität und Frische, schmackhaftes Fleisch, das man mit gutem Gewissen genießen kann. Es ist kontrolliert und herkunftssicher aus der Region. Als zertifizierter Neuland-Betrieb übernimmt der Meierhof mit seinem Neuland-Qualitätsfleischprogramm ethische Verantwortung für Tier, Mensch und Umwelt. Als Mitglied im Neuland-Verein erfüllt der Betrieb besonders den Anspruch an tiergerechte Haltung. Getragen durch den Deutschen Tierschutzbund, die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft und den BUND, ist er ein Garant für das Wohl der Tiere, heimische Erzeugnisse und praktizierte Nachhaltigkeit.
Es ist nicht allein die Initiative Tierwohl, die durch erhöhte Finanzbeiträge des Handels in letzter Zeit Aufmerksamkeit erzielt, sondern es ist auch das Ministerium für Landwirtschaft, das mit seiner Nutztierhaltungsstrategie die Bedingungen für tierwohlgerechte Ställe in Nordrhein-Westfalen verändern will. „Mit dem Corona-Konjunkturprogramm wird das Tierwohl zusätzlich gestärkt. Mit insgesamt fünf Millionen Euro wollen wir unter anderem Investitionen in tierwohlgerechte Ställe fördern“, erklärt NRW Landwirtschaftsministerin Ursula Heinen-Esser und führt weiter aus: “Das Bewusstsein für Lebensmittel und die Art und Weise der Herstellung ist in der Corona-Zeit weiter gestiegen. Regional erzeugte Lebensmittel sowie die artgerechte Haltung von Tieren werden zunehmend zum Kaufkriterium. Insbesondere auf die Tierhaltung schaut unsere Gesellschaft heute mit anderen Augen“.
Es gilt also, der Verunsicherung der Verbraucher mit mehr Transparenz zu begegnen – auch was das Tierwohl betrifft – um das Wohlbefinden beim Einkauf und das so erfolgsentscheidende Vertrauen bei den Konsumenten wieder zu stärken.
Fotos: Bauer Sagel mit Kühen, Fleisch (© Bauernhof Sagel), Puten, Putenbraten (© Meierhof Rassfeld)