Nestlé Studie „So is(s)t Deutschland 2024“ – Die Sehnsucht nach Unbeschwertheit: Essen zwischen Verzicht und Genuss
Einfach und unbeschwert zu essen ist heute gar nicht so einfach. Selbst festgelegte und von außen getriebene Ernährungsideale, Gesundheitsthemen und die Zwänge des Alltags sind kaum miteinander zu vereinbaren und führen zu einem hohen gefühlten Druck. Die Nestlé Studie „So is(s)t Deutschland 2024 – Die Sehnsucht nach Unbeschwertheit: Essen zwischen Verzicht und Genuss“ untersucht*, wie die Menschen in Deutschland versuchen, sich aus diesem Dilemma zu befreien und was sie dabei von Herstellern, Marken und Politik erwarten. Besonderes Augenmerk legt die Studie dabei auf die Generation Z.
Was auf den Teller kommt
Die aktuellen Krisenerfahrungen haben einen Rückzug ins Private und damit eine stärkere Selbstbezüglichkeit zur Folge. Dadurch rückt auch die eigene Ernährung stärker in den Fokus, auf die die Menschen selbst aktiv Einfluss nehmen können und wollen. Der stete Strom schlechter Nachrichten und die, wenn auch nur gefühlte, Unsicherheit beeinflussen die Art und Weise wie sie Lebensmittel einkaufen. Es ändern sich Koch- und Essgewohnheiten und auch die Erwartungen an Markenprodukte. Nachhaltigkeitskriterien verlieren zum Teil stark an Bedeutung beim Lebensmitteleinkauf, zum Beispiel Saisonalität (40 Prozent statt 50 Prozent in 2018) und Regionalität (44 Prozent statt 57 in 2018) oder Naturbelassenheit (36 Prozent). Stattdessen ist vor allem ein besonders günstiger Preis wieder ausschlaggebend für die Kaufentscheidung – 58 Prozent der Befragten entscheiden vor allem mit dem Geldbeutel.
Essen zwischen Ideal und Alltag
Klar ist: Ernährung dient schon längst nicht mehr einfach nur der Nahrungsaufnahme. Essen ist fast ideologisch aufgeladen und wie so viele Lebensaspekte Gegenstand vieler verschiedener und mitunter auch widersprüchlicher Erwartungen, Glaubenssätze und Überzeugungen. Die Menschen wollen den Idealen von Gesundheitsoptimierung und Mäßigung gerecht werden und moralischen Anforderungen hinsichtlich Tierwohl oder Klimaschutz genügen. Beispielsweise denken 72 Prozent der Befragten, dass sie sich gesünder ernähren sollten – 2018 waren es nur 54 Prozent. Nach ihrer Einschätzung essen sie häufiger mehr, als gut für sie ist (47 Prozent). Fast jeder fünfte gibt zudem an, sich manchmal für das zu schämen, was er oder sie isst – bei den 16- bis 27-jährigen der Generation Z liegt dieser Anteil sogar bei 31 Prozent. Damit verbunden ist auch die Angst vor negativen Konsequenzen schlechter Ernährung, etwa Figurproblemen (65 Prozent), Zivilisationskrankheiten wie Diabetes (53 Prozent), Trägheit und Leistungsschwäche (47 Prozent), unschöne Begleiterscheinungen wie Verdauungsstörungen (40 Prozent) oder schlechter Haut (28 Prozent) bis hin zu Schuld gegenüber Tieren und der Umwelt (22 Prozent) und frühem Tod (31 Prozent). Gerade bei der noch jungen Generation Z sind diese Bedenken enorm ausgeprägt.
Ernährung ist anstrengend geworden
Die Menschen in Deutschland befinden sich also in einem Dilemma. Sie verspüren individuellen Druck, zahlreichen Idealen und Ansprüche gerecht zu werden, fragen sich, wie viel gesunde und nachhaltige Nahrungsmittel kosten dürfen, und wie sie trotz Sparzwang ein als gut und erstrebenswert empfundenes Leben führen können. Obwohl Freude am Essen nach wie vor für einen Großteil der Menschen einen hohen Stellenwert hat (88 Prozent) und Ernährung als Schlüssel für gesundes Altern gesehen wird (78 Prozent), sind mehr als die Hälfte der Befragten (52 Prozent) der Meinung, dass das Thema Ernährung anstrengend geworden ist, weil man auf so vieles achten muss. Jeder vierte empfindet die Lücke zwischen Idealen und Realität als groß bis riesig. So ist es auch kein Wunder, dass 89 Prozent der Menschen in Deutschland mindestens mit einem Aspekt ihrer Ernährung unzufrieden sind. Besonders zu viele Süßigkeiten (42 Prozent der Befragten) und zu wenig Obst und Gemüse (34 Prozent) werden als Problem wahrgenommen, gleichzeitig geben 30 Prozent der Befragten spätabendlichen Heißhungerattacken nach. Bei der jüngeren Generation Z ist dieses Spannungsfeld in ihrer Ernährung noch stärker ausgeprägt als in der Gesamtbevölkerung.
Steigende Unzufriedenheit mit dem Gewicht
Gute Ernährung spielt eine große oder sehr große Rolle in meinem Leben – dieser Aussagen stimmen inzwischen mehr als zwei Drittel (68 Prozent) der Menschen in Deutschland zu. Mehr als die Hälfte der Befragten beschäftigt sich eigenen Aussagen zufolge viel mit der eigenen Ernährung. Neben persönlicher Überzeugung (68 Prozent) sind auch gesundheitliche Überlegungen (41 Prozent) hier besonders relevant. Bei allen Aspekten ist im Vergleich zu 2018 ein erheblicher Zuwachs zu verzeichnen. Dazu passt, dass immer mehr Menschen in Deutschland unglücklich mit ihrem Gewicht sind: 2024 zeigt sich genau die Hälfte der Befragten wenig bis gar nicht zufrieden – ein Anstieg von 13 Prozentpunkten im Vergleich zu 2018. Selbst bei der Generation Z sind es bereits 47 Prozent und damit ein noch deutlicherer Sprung von 18 Prozent.
Vier Wege für mehr Unbeschwertheit bei der Ernährung
Die Gegenwart ist also kompliziert und das spiegelt sich auch in der eigenen Ernährung wider. Um diese Komplexität zu reduzieren, setzen die Menschen in Deutschland bewusst oder unbewusst auf vier unterschiedliche Wege für mehr Unbeschwertheit bei ihrer täglichen Ernährung.
1. Die Ideale verinnerlichen: Die Neue Mäßigung
Ein Weg ist die „Neue Mäßigung“. Diese Umgangsform beinhaltet die Anpassung an die Erfordernisse unserer Zeit und die Verinnerlichung neuer Ideale wie Gesundheitsoptimierung oder Nachhaltigkeit. Die Menschen stellen ihre Ernährung also um und richten sie bewusst an den neuen Ansprüchen aus, um ihre eigene Welt wieder auf neuem Niveau ins Gleichgewicht zu bringen. Dazu gehört etwa eine gute Organisation. Deshalb planen 70 Prozent der Befragten und damit deutlich mehr Menschen als zuvor ihren Einkauf im Voraus (2018: 53 Prozent). Damit einher geht auch der Zero-Waste-Gedanke, also wenig Verpackungsmüll bzw. Reste zu erzeugen und Lebensmittel zu retten, was ökonomische und ökologische Ansprüche verbindet. 44 Prozent der Befragten achten beim Einkauf darauf, Produkte mit möglichst wenig Verpackung auszuwählen. Auch der Verzicht auf Fleisch wird relevanter und soll von der dreifachen Schuld gegenüber Tieren, der eigenen Gesundheit und dem Klima entlasten.
2. Den Alltag bewältigen: Der Neue Pragmatismus
Als einen weiteren selbstgewählten Ausweg hat die Studie den „Neuen Pragmatismus“ identifiziert. Wer sich dieser Strategie bedient, fühlt sich durch Sparzwänge und einen immer stressigeren Alltag dazu berechtigt, seine Ernährung pragmatisch anzugehen und vom ideellen Ballast zu befreien. Der Alltag ist also die oberste Maßgabe, die Nachhaltigkeits- und Ernährungsansprüche werden diesem unterworfen. Jeder dritte Mensch in Deutschland (34 Prozent) und sogar fast zwei Drittel (61 Prozent) der Befragten aus der Generation Z beklagen, dass ihnen oft die Zeit fehle, sich so zu ernähren, wie sie es eigentlich möchten. Ein realistischer Hands-on-Ansatz im Hinblick auf die eigene Gesundheit und das Essen in Gemeinschaft wird wichtiger als die Ansprüche ökologischer Nachhaltigkeit und sorgt für mehr Freiraum. So erlaubt die Nutzung von Home-Delivery-Diensten, die auch häufiger von der jüngeren Generation Z genutzt werden, eine pragmatische Selbstversorgung und entlastet von Verantwortung. Bei den eigenen Kochgewohnheiten steigt der Wunsch nach einfachen Gerichten von 31 Prozent (2018) auf 47 Prozent. Gleichzeitig sind die Befragten probierfreudiger (Anstieg von 30 auf 45 Prozent). Moderne und als hochwertig wahrgenommene Convenience-Produkte wie Tiefkühl-Waren, Gewürzmischungen oder Pestos und Würzpasten werden hier gern verwendet, um beim Kochen unter Zeit- und Ideen-Not zu unterstützen und etwa Gerichte mit internationalem Touch zuzubereiten. Beim gemeinsamen Kochen und Essen verteilt sich die Last der Verantwortung auf viele Schultern und Ideale werden aus Rücksicht auf die Bedürfnisse anderer weniger wichtig. Grundsätzlich rücken auch globale Nachhaltigkeitsansprüche wie Klimaschutz und faire Handelsbedingungen in den Hintergrund.
3. Snacken ohne Gewissensbisse: Der Verdeckte Genuss im Nebenbei
Der „Verdeckte Genuss im Nebenbei“ ist der dritte Weg. Dieses Verhalten unterläuft das bewusste Radar und verdrängt so Probleme von Schuld und Scham. Viele Menschen in Deutschland fühlen sich aufgrund ihres Lebensstils zum „on-the-go“ Essen beinahe gezwungen und erhalten so die Legitimation für (Dauer-)Snacking. Durch das beiläufige Snacken, das einen anderen Stellenwert hat als eine richtige Mahlzeit, werden die persönlichen Ansprüche herabgesetzt. Ernährung erfüllt angesichts individueller Belastungen so die Funktion einer seelischen Stoßdämpfung. Vor allem bei der Generation Z ist gleichzeitig eine Sehnsucht erkennbar, auch einmal regressiv im Bett zu essen und sich nebenbei medial zu befüllen: die Hälfte der jüngeren Befragten berichtet von regelmäßigem Snacken vor den Bildschirmen von Smartphone, Fernseher oder Tablet. Gesunde Snacks wie Joghurt, Obst und Nüsse werden von allen Befragten an erster Stelle genannt (47 Prozent), um sich über den Tag hinweg diszipliniert zu ernähren. Gleichzeitig geben die Befragten an, durch Snacks Hunger zu überbrücken (40 Prozent), sich kleine Ernährungssünden zu erlauben (35 Prozent), für Pausen zwischen Terminen zu sorgen (24 Prozent) oder Hauptmahlzeiten zu ersetzen (17 Prozent). Auch Protein-Zusätze in Produkten verleihen die Erlaubnis zum Snacken und ersparen tiefere Auseinandersetzung mit der Ernährung. Mehr als jeder vierte Befragte (29 Prozent) achtet bei der eigenen Ernährung auf viel Eiweiß / Protein, in der jüngeren Generation Z ist es sogar mehr als jeder dritte (36 Prozent).
4. Essen wie früher: Der Retro-Trend
Als vierten Weg für mehr Unbeschwertheit bei der Ernährung konnte die Studie auch einen „Retro-Trend“ feststellen. Die Menschen sehnen sich zurück nach den Ernährungsweisen vergangener Jahrzehnte, als die Genuss-Welt noch in Ordnung erschien, und gehen in den aktiven Widerstand zu gesellschaftlichen Entwicklungen. Dies äußert sich bei einem Teil etwa in demonstrativem Fleischkonsum – 28 Prozent der Befragten stimmen der Aussage zu, dass sie gern Fleisch essen und auch in Zukunft nicht weniger essen werden. Und selbst bei der Generation Z zählt sich jeder Vierte zu den unbekümmerten Fleischessern. In dieser Rückwärtsorientierung werden neue Gesundheiterkenntnisse bewusst ignoriert, konservative Ernährungsstile heftig verteidigt und Trends wie Veganismus mitunter sogar angefeindet.
Entlastung durch Marken und Politik
Abseits individueller Entlastungs-Strategien erwarten die Menschen in Deutschland vor allem Hilfe von außen. Eine Vielzahl von regulatorischen Maßnahmen von Seiten der Politik werden in der Studie befürwortet. Dazu zählen unter anderem eine Senkung der Mehrwertsteuer für gesunde Lebensmittel wie Obst und Gemüse (84 Prozent Zustimmung), eine Verpflichtung zum Angebot von gesundem Essen in Schulen oder Betriebskantinen (71 Prozent) oder eine Verpflichtung der Hersteller zum Schutz von Menschenrechten in ihren Lieferketten (64 Prozent) Nach Meinung von 46 Prozent der Befragten, liegt es auch an großen Marken, mehr Verantwortung zu übernehmen, wenn es um Ernährung und globale Herausforderungen wie Tierwohl, Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Verpackungen geht, 36 Prozent erwarten gleiches auch von der Politik. Marken werden als wichtige Partner dabei verstanden, eigene Ideale einzuhalten oder sich Ausnahmen zu genehmigen. Sie stehen für bekannten Geschmack und Qualität. Sie werden auch als einflussreiche Instanzen wahrgenommen, die echten Wandel vorantreiben und von individueller Schuld entlasten können. So können die Menschen einerseits Verantwortung abgeben und andererseits über den Kauf von Marken selbst Wirksamkeit verspüren. Auf diese Weise kann jeder aktiv sein, während gleichzeitig Entlastung geboten wird. Denn sich selbst (stärker) engagieren wollen die wenigsten (13 Prozent).
*Zur Methodik: Gemeinsam mit dem rheingold Institut hat Nestlé eine Studie zum Thema Ernährung durchgeführt. Die Basis bilden psychologische Gruppen- und Tiefeninterviews sowie eine Online-Befragung von 2.040 Bundesbürger:innen im Frühjahr 2024. Die Teilnehmer:innen bilden einen repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung im Alter von 16 bis 84 Jahren ab. Die Gen Z umfasst die heute 16- bis 27-Jährigen.
Quelle: https://www.nestle.de/sites/g/files/pydnoa391/files/2024-05/Nestle_Studie_2024_Flyer_Lese_PDF.pdf
Text- und Bildquelle: https://www.nestle.de/unternehmen/publikationen/nestle-studie/ernaehrungsstudie/ernaehrungsstudie-verzicht-genuss
Abbildungen: nestle.de