Extensive Ganzjahresbeweidung mit Taurus-Rindern und Wildpferden als Motor für Strukturvielfalt und Artenreichtum
Der Naturschutzverein ABU e.V. ist Träger der Biologischen Station im Kreis Soest und beweidet mit urtümlichen Taurus-Rindern und Wildpferden seit über 30 Jahren Naturschutzflächen. Ziel ist es, Natur- und Artenschutz sowie dynamische Landschaftsentwicklung voranzubringen. Ihre robusten Auerochsen-ähnlichen Rinder züchtet die ABU seit 1990 eigens für diese Aufgaben. Der Erfolg gibt ihnen recht: Fünf Herden der urtümlich anmutenden Taurus-Rinder weiden heute auf über 300 ha im Kreis Soest. Die Taurus-Rinder sind mittlerweile deutschland- und europaweit eine feste Größe, wenn es um Naturentwicklung geht.
Die Tiere sind als Zuchttiere für Beweidungsprojekte ein Exportschlager, denn sie haben eine Schlüsselfunktion in unseren Ökosystemen und ersetzen damit die heimischen Auerochsen, die diese vor 300 Jahren bis zu ihrer Ausrottung innehatten.
Mittlerweile ist Vieles darüber bekannt, wie große Weidetiere die Basis unserer Ökosysteme und Landschaftsentwicklung bilden und welchen Platz sie in der Natur- und Besiedlungsgeschichte Europas einnehmen. Die Forschung und die Fachliteratur zu diesem Thema wächst stetig. Den Grundstein für die europäische Taurus-Rinderzucht legte die Biologische Station in Soest Ende der 1990er Jahre. Ziel war es, den ausgerotteten Auerochsen annähernd wieder zu züchten. Dazu wurden eine Auswahl der ursprünglichsten, robustesten und ältesten noch existierenden europäischen Rinderrassen gesucht und das sogenannte Heckrind* gezielt mit dem Taurus-Rind gekreuzt.
Der Grundgedanke war es, möglichst große, behornte, extrem robuste und eigenständige Rinder zu züchten, die optisch, körperlich und verhaltenstechnisch den ausgerotteten Auerochsen ähneln und ihre Lücke in den Ökosystemen wieder auffüllen können. Taurus-Rinder können bei ganzjähriger, sanfter naturnaher Beweidung eine einzigartige Dynamik in der Landschaft erzeugen, die gut für die Natur ist und immer neue Lebensräume bietet. Denn Biodiversität braucht natürliche Dynamik, so entwickelt sich auf den Flächen ein beachtlicher Artenreichtum in sehr strukturreichen Lebensräumen. Diese Art der Ganzjahresweiden wird auch als „Wildeweiden“ bezeichnet.
Die Tiere gestalten durch ihr Fressverhalten und die geringe Besatzdichte strukturreiche Flächen mit unterschiedlicher Vegetation, die zum Teil europaweite Bedeutung hat. Die Speisekarte der Weidetiere ist über das Jahr hinweg sehr unterschiedlich; im Sommerhalbjahr stehen die Gräser und Kräuter als Hauptspeise auf dem Plan, im Winterhalbjahr sind es vermehrt Stauden, Disteln, Brennnesseln und Gehölze. Im Winter oder bei großflächigen Überschwemmungen der Auenwiesen wird mäßig Bio-Heu zur Konditionserhaltung der Tiere zugefüttert.
Die Taurus-Rinder leben zusammen mit den Wildpferden auf eindrucksvollen parkähnlichen Buschlandschaften oder artenreichen offenen Grünländern. Die urtümlichen Tiere und die von ihnen geschaffene artenreiche Landschaft sind eine Augenweide für den Menschen.
Es verändert sich immer wieder etwas und es gibt Neues zu entdecken: Offene Bereiche wechseln sich mit buschigen Gehölzgruppen oder Wald ab. Auf den Wanderwegen und an Scharr- und Wälzstellen schaffen die Tiere Rohböden, die gute Lebensbedingungen für Insekten und Pflanzen bieten. Durch die geringe Beweidungsdichte hat jedes Tier etwa 1 bis 5 ha Platz. Durch die Robustheit der Tiere ist keine prophylaktische Behandlung der Tiere mit Medikamenten nötig. Diese naturverträgliche Form der Grünlandnutzung entzieht der Atmosphäre dauerhaft mehr Kohlendioxid, als es ein Wald auf der gleichen Fläche könnte. So sieht einfach tierisch guter Klimaschutz aus.
Die Tiere können ganzjährig in festen sozialen Herden über die weitläufigen Flächen streifen. Kühe, Kälber und Jährlinge leben mit dem Deckbullen wie vor Urzeiten zusammen. Die Tiere wachsen langsam und die Kühe bekommen erst im 2. Lebensjahr ihr erstes Kalb. Die Mutterkühe meistern die Geburten selbstständig. Die Kälber wachsen bei ihren Müttern auf. Die Bullen werden etwa 10 bis 15 Jahre alt, die Kühe meist um die 20 Jahre. Die Rinder benötigen keine Klauenpflege oder permanente Medikamentengabe gegen Parasiten. Der absolut medikamentenfreie Dung ist der Treibstoff für den Motor dieses heimischen Ökosystems, denn der Dung ist Nahrungsgrundlage und Brutstätte für zahlreiche Dungkäfer und weitere Insektenarten sowie für zahlreiche andere wirbellose Tiere und Pilze. Schließlich dienen diese Insekten wiederum Fledermäusen und vielen Vogelarten als Nahrung. Es wird angenommen, dass sich bei dieser Beweidungsform im Dung eines einzelnen Rindes im Jahr bis zu 100 kg Insektenbiomasse entwickelt (Quelle: H. Nickel). So werden durch die Rinder der Biostation schätzungsweise 10 bis 12 Tonnen Insekten pro Jahr produziert. Dadurch hat es beispielsweise die Vogelart Neuntöter auf den im Kreis Soest beweideten Naturschutzflächen zu einem Populationsrekord in NRW geschafft und fast ausgestorbene Pflanzenarten kehrten zurück.
Die insgesamt über 300 ha großen Weiden befinden sich im Kreis Soest in der Lippeaue bei Hellinghausen, Benninghausen, Eickelborn und Lippborg sowie auf dem Haarstrang bei Soest-Büecke. Die Weidelandschaften können von vielen Stellen aus von Aussichtshügeln bestaunt werden. Regelmäßige und auch privat buchbare Exkursionen bieten ganz besondere Einblicke auf den sonst unzugänglichen Naturparadiesen.
Die Menschen erfreuen sich als nahe Ausflugsziele mit Blicken über die Bördestadt Soest oder die Auenlandschaften der Lippe, wo die selten gewordenen Feldlerchen, Kibitze, Krickenten und Neuntöter wieder zahlreich singen, pfeifen und schnattern. Wussten Sie, wohin das erste Storchenpaar nach 60 Jahren Abwesenheit wieder in den Kreis Soest zurückkehrte? Richtig, auf eine Wildeweide der Taurus-Rinder in der Lippeaue!
Diese Entwicklung verdanken wir den Weidetieren. Doch der Platz für sie ist begrenzt, daher werden überzählige Rinder entweder als hochwertige Zuchttiere an andere oder neue Beweidungsprojekte verkauft oder zum Verzehr geschlachtet. Die beschriebene Lebensweise der Tiere und ihre Robustheit zeichnet sich auch in einer außergewöhnlichen Fleischqualität ab.
„Unsere Weidetiere sind deshalb nicht nur gut für unsere heimische Natur, sondern sie schmecken auch noch richtig gut! Wir ermöglichen unseren Tieren ihren letzten Augenblick auf ihrer heimatlichen Weide absolut stressfrei. Die kurzen Wege zum Metzger in Herzfeld und dem Konsumenten sind uns ebenfalls sehr wichtig. Auf diesem Wege kommt das hochwertige Rindfleisch dieser robusten Taurus-Rinder in begrenzten Mengen als Hack, Gulasch, Steaks, Grillwurst, Rouladen oder Bolognese-Sauce auf den Herd oder Grill – und auch wie bei Muttern ins Pfandglas“, erklärt Robert Loerbroks.
(*Das Heckrind wurde etwa von 1920 bis 1940 von den Gebrüdern Heck als erster Versuch einer Abbildzucht des Auerochsens gestartet. Der 2. Weltkrieg beendetet dieses Zuchtprogramm.)
Foto: Robert Loerbroks (© Birgit Clausen)