Suche
Close this search box.
Fotomontage: pflanzliche Proteine in Lebensmitteln (Copyright: Canva)

Die Revolution auf unserem Teller:
Wie kultiviertes Fleisch, pflanzenbasierte Produkte und Präzisionsfermentation die Zukunft des Essens gestalten

Die Zukunft des Essens wird maßgeblich von der Klimakrise, Umweltproblemen, dem Verlust der Biodiversität, der eigenen Gesundheit und dem Tierwohl bestimmt. Diese Herausforderungen spiegeln sich im großen Trend hin zu pflanzenbasierter Ernährung wider. Viele Wissenschaftler betonen, dass eine verstärkte pflanzenbasierte Ernährung ein entscheidender Schritt zur Rettung unseres Planeten ist. Hier soll die „Planetary-Health-Diet“ Abhilfe schaffen, die darauf abzielt, den Konsum von vegetarischen Lebensmitteln zu erhöhen und den Fleischverzehr zu reduzieren.

Eine zentrale Frage ist, wie im Jahr 2050 zehn Milliarden Menschen auf der Erde gesund und nachhaltig ernährt werden können. Die „Planetary-Health-Diet“, entwickelt von der EAT-Lancet-Kommission – einem Zusammenschluss von 37 Wissenschaftlern aus 16 Ländern – bietet hierfür einen Lösungsansatz. Sie basiert auf einem täglichen Energiebedarf von 2.500 Kilokalorien, hauptsächlich aus pflanzlichen Quellen, ergänzt durch Fisch, Fleisch und Milchprodukte. Konkret bedeutet dies, dass der Verzehr von Gemüse, Obst, Hülsenfrüchten und Nüssen verdoppelt und der Anteil von rotem Fleisch und Zucker mehr als halbiert werden muss.

Die Zukunft des Essens wird durch innovative Technologien und Ansätze geprägt sein, die nachhaltigere Lebensmittelalternativen schaffen. Drei zentrale Bereiche sind hierbei kultiviertes Fleisch, pflanzenbasierte Produkte und fermentierte Lebensmittel. Diese Entwicklungen versprechen nicht nur eine umweltfreundlichere, sondern auch eine gesündere Ernährung für die Zukunft.

Kultiviertes Fleisch: Sprunginnovation für eine enkeltaugliche Gesellschaft

Foto: Patties aus alternativen Proteinquellen (Copyright: Canva)
Foto: Patties aus alternativen Proteinquellen (Copyright: Canva)

An der Universität Vechta beschäftigt sich der Strategieforscher Prof. Dr. Nick Lin-Hi und sein Team mit Sprunginnovationen für eine enkeltaugliche Gesellschaft, wobei er insbesondere Kultiviertes Fleisch in den Blick nimmt. Kultiviertes Fleisch, auch bekannt als Zellkulturenfleisch oder Laborfleisch, wird aus tierischen Zellen gezüchtet, ohne dass ein Tier aufgezogen, gemästet und geschlachtet werden muss.

Die Zellen werden in einer nährstoffreichen Umgebung vermehrt und zu Geweben geformt, die dem echten Fleisch sehr ähnlich sind. Viele Unternehmen sind in diesen Prozess involviert und profitieren von der Wertschöpfung. Bei kultiviertem Fleisch ist die Wertschöpfungskette jedoch kürzer und die Logistik weniger komplex, was zu geringeren Kosten führt. Die Produktion muss jedoch aus dem Labormaßstab herauswachsen und in die industrielle Fertigung übergehen, was eine Erhöhung der Produktionsmengen erfordert. „Dies ist relevant, da die Kosten beispielsweise beim Einkauf sinken, wenn größere Mengen produziert werden. Allerdings müssen diese größeren Mengen auch verarbeitet werden können. Damit dies bei kultiviertem Fleisch gelingt, sind noch einige technische Herausforderungen zu bewältigen“, berichtet der Professor. Die hierfür benötigten Bioreaktoren stammen aus dem pharmazeutischen Bereich und sind für kleine Mengen konzipiert. Unternehmen, die große Edelstahlreaktoren herstellen, stehen bereits in den Startlöchern, um die Produktion in größeren Mengen zu ermöglichen.

Pflanzenbasierte Produkte: Erfolgreicher Markt für Milch- und Käsealternativen

Foto: Mandeln (Copyright: Canva)
Foto: Mandeln (Copyright: Canva)

Pflanzenbasierte Produkte sind Lebensmittel, die ausschließlich aus pflanzlichen Zutaten hergestellt werden. Zum Teil sollen sie traditionelle tierische Produkte ersetzen. Dazu gehören pflanzenbasierte Milch, Käse und Fleisch.

Laut Statista verzeichnete der Verkauf von pflanzlicher Milch in Deutschland im Jahr 2023 einen Anstieg um 85% im Vergleich zu 2022. Der Absatz von veganem Käse hat sich sogar verdoppelt. Zu den beliebtesten Alternativen zur herkömmlichen Milch gehören Hafer-, Mandel- und Sojamilch. Diese in Wasser gelösten und zerkleinerten Pflanzenextrakte bilden die Basis für diesen Markt, der auch wirtschaftlich erfreulich ist. Produkte wie Hafermilch kosten in der Herstellung weniger als Molkereiprodukte und der Gewinn ist höher. Große Molkereien setzen bereits auf Produkte aus alternativen Proteinen, wobei das größte Segment die Hafermilch bildet.

Foto: Milchersatzprodukt aus alternativen Proteinquellen (Copyright: Canva)
Foto: Milchproduktalternativen aus Proteinquellen (Copyright: Canva)

Der Milch-, aber auch Joghurt- und Dessertbereich wird bereits von Marktführern dominiert, während das Käsesegment den Spezialisten überlassen bleibt. Soja, Mandeln und Cashewnüsse sind die Favoriten bei veganem Käse. Ein Beispiel für schmackhafte Milchproduktalternativen ist das Berliner Startup Mondarella, das Mozzarella, Camembert und Grillkäse in verschiedenen Geschmacksrichtungen auf Basis von Mandeln herstellt. Die Produkte kommen ganz ohne Geschmacksverstärker und künstliche Aromen aus und sind dem Geschmack und der Textur von Käse und Kuhmilch sehr nahe. Hanna Gottmann, Marketing- und Nachhaltigkeitsmanagerin von Mondarella hebt hervor: „Unsere Produkte bieten nicht nur eine köstliche Alternative zu herkömmlichem Käse, sondern überzeugen neben den gesundheitlichen Vorteilen wie weniger Fett auch durch ihre nachhaltige und ressourcenschonende Herstellung.“

Der einzige Haken: Die Mehrwertsteuer auf Ersatzprodukte liegt bei 19% und nicht wie bei Milchprodukten bei 7%, was die pflanzlichen Produkte allein dadurch teurer macht als das tierische Pendant.

Fermentation: Nachhaltige Innovationen für die Zukunft der Lebensmittel

Fermentation ist ein biochemischer Prozess, bei dem Mikroorganismen wie Bakterien und Pilze verwendet werden, um Lebensmittel zu verändern oder zu konservieren. Beispiele sind Joghurt, Sauerkraut, und neuerdings auch innovative Proteinquellen wie Mykoprotein (Pilzprotein).

Ein Beispiel für die Umsetzung dieser Technologien biete das Berliner Startup Formo. Formo nutzt die Kraft der Innovationstechnologien Mikrofermentation und Präzisionsfermentation, um der Welt die nächste Generation nachhaltiger und genussvoller tierfreier Produkte zu bringen. Seit 2019 kombiniert das Unternehmen synthetische Biologie, fortschrittliche Lebensmittelwissenschaft und modernstes Produktdesign, um die größte Marktlücke im Bereich tierfreie Lebensmittelwelt zu füllen: Käse. Nach vierjähriger Forschungs- und Entwicklungsarbeit hat Formo es geschafft, auf Basis von Koji Proteinen „Käse ohne Kuh“ herzustellen, der von herkömmlichen Referenzprodukten nicht zu unterscheiden ist. Die Produkte kommen noch 2024 in den Handel. Neben der Kommerzialisierung von Mikrofermentationsprodukten leistet das Unternehmen Pionierarbeit im Bereich der Präzisionsfermentation zur Herstellung von bioidentischen Kaseinproteinen, also naturidentischen Milchproteinen, in großem Maßstab. Durch den Einsatz dieser beiden revolutionären Lebensmitteltechnologien wird Formo im 700 Milliarden Dollar schweren Milchproduktemarkt eine Alternative stellen, auf die insbesondere Kunden aus der Flexitarier-Welt schon lange warten. Mit seinen Technologien spart Formo im Vergleich zu tierischer Produktion signifikant CO2-Emissionen sowie Wasser- und Landnutzung ein und ist damit eine Schlüsseltechnologie auf dem Weg zu einem nachhaltigeren Lebensmittelsystem.

Abbildung: Umfrage Konsumveränderung mit pflanzlichen Optionen (Copyright: YouGov – Good Food Institute)
Abbildung: Umfrage Konsumveränderung mit pflanzlichen Optionen (Copyright: YouGov – Good Food Institute)

Erst im März 2024 bestätigte der gemeinnützige Think Tank Good Food Institute Europe in einer repräsentativen Studie 1, in der 2.105 Menschen zu ihren Einstellungen zu pflanzenbasierten Alternativprodukten und zu kultiviertem Fleisch in Deutschland befragt wurden. Demnach wollen 27% in den nächsten zwei Jahren mehr pflanzliche Alternativen zu Milchprodukten konsumieren. Und 47% sagen: „Wenn kultiviertes Fleisch verfügbar wäre, würde ich es zumindest einmal ausprobieren.“ Dies unterstützt auch eine neue Studie 2 der Georg-August-Universität Göttingen, die 2.035 Personen in Deutschland zu ihren Ernährungsgewohnheiten, ihrer Einstellung zu Käse und zum Konzept des tierfreien Käses mit Kasein aus Präzisionsfermentation befragt hat. Demnach würden 57 Prozent der Befragten tierfreien Käse aus Präzisionsfermentation essen.

Abbildung: Umfrage kultiviertes Fleisch (Copyright: YouGov – Good Food Institute)
Abbildung: Umfrage kultiviertes Fleisch (Copyright: YouGov – Good Food Institute)

Die Anuga, die weltweit größte Fachmesse für Lebensmittel und Getränke in Köln, stellt sich auf diesen Trend ein und stellt im Oktober ihre neue Fachmesse „Anuga Alternatives“ vor. Damit reagiert sie auf die steigende Nachfrage der Verbrauchenden: Nach Angaben von Innova Market Insights, einem globalen Marktforscher, hat der Markt für pflanzliche Fleischersatzprodukte in Deutschland sowohl beim Umsatz als auch bei den Produkteinführungen ein deutliches Wachstum verzeichnet. Zwischen 2022 und 2023 ist der Marktwert um 7,8 % gestiegen, von einer Marktgröße von 639 Millionen USD im Jahr 2022 auf 689 Millionen USD im Jahr 2023.

Die Zukunft der Ernährung: Kultiviertes Fleisch, Pflanzenbasierte Produkte und Fermentationstechnologien

Die Zukunft der Ernährung wird vermutlich eine Kombination verschiedener innovativer Ansätze beinhalten. Kultiviertes Fleisch könnte die Fleischindustrie revolutionieren und den ökologischen Fußabdruck verringern, während pflanzenbasierte Produkte eine breite Palette an Alternativen für unterschiedliche Ernährungsbedürfnisse bieten. Fermentationstechnologien tragen dazu bei, gesunde und schmackhafte Lebensmittel mit geringem Ressourceneinsatz zu produzieren. Die Akzeptanz und Verbreitung dieser Technologien hängen maßgeblich davon ab, wie gut sie von den Verbrauchern angenommen werden und wie wettbewerbsfähig sie preislich sind. In jedem Fall bieten sie vielversprechende Lösungen für einige der drängendsten Probleme der heutigen Lebensmittelproduktion.

Laut dem neuesten Food Report von Hanni Rützler geht es nicht nur darum, Fleisch durch pflanzliche Proteininnovationen zu ersetzen. In pflanzlich orientierten Gourmet-Restaurants hat das, was heute auf den Teller kommt, kaum etwas mit veganen Ersatzprodukten zu tun. Spitzenköche zielen nicht darauf ab, den Geschmack von Fleisch nachzuahmen. Stattdessen kreieren sie aus Gemüse, Obst, Getreide, Hülsenfrüchten und Kräutern einzigartige Gerichte, bei denen niemand das Fleisch vermisst.

Auch viele Gemeinschaftsgastronomen setzen auf ein nachhaltiges und gesundes Speisenangebot. So führt Dussmann Food Services in mehr als 50 Betriebsrestaurants Gerichte nach den Prinzipien der Planetary Health Diet ein. Die „Planet-Based“-Linie bietet einmal pro Woche ein spezielles Gericht an, wie etwa Vollkorn-Spaghetti mit Buchweizen-Bolognese und Gemüse-Panzanella, Zartweizen-Taboulé mit Feta, Datteln und Mandeln oder karamellisierte Möhren mit Kichererbsen. Der Erfolg gibt Dussmann Recht: Das innovative Konzept hat kürzlich den Marketing Award der Gemeinschaftsgastronomie 2024 gewonnen.

Experten prognostizieren, dass die Nachfrage nach Fleisch aufgrund von Bevölkerungswachstum und steigendem Wohlstand weltweit weiter zunehmen wird. Bis 2050 könnten zehn Milliarden Menschen auf der Erde leben, und die Nachfrage nach Fleisch könnte um 60 Prozent oder mehr steigen. Prof. Dr. Nick Lin-Hi von der Universität Vechta erklärt in einem Interview im Fachmagazin Vegonomist vom Mai 2024: „Kultiviertes Fleisch ist eine Möglichkeit, um die zusätzliche Nachfrage zu bedienen. Parallel dazu können wir die Landwirtschaft einbinden, etwa durch den Anbau von Rohstoffen für das Nährmedium, um die Zellen zu füttern.“ Er betont, dass wir disruptive Innovationen brauchen, um eine nachhaltige Entwicklung sicherzustellen: „In meiner Forschung beschäftige ich mich damit, wie wir in Wirtschaft und Gesellschaft Offenheit und Akzeptanz für disruptive Innovationen fördern können.“

Ivo Rzegotta vom Good Food Institute Europe betont: „Wir müssen Akteure zusammenbringen. Landwirte sollten über die Potenziale der neuen Märkte informiert werden und brauchen die Sicherheit, dass die Erzeugnisse dann auch abgenommen werden, etwa über Abnahmegarantien im Rahmen der Gemeinschaftsverpflegung. Produzenten sollten mit den Landwirten vernetzt werden, um bei Rohstoffknappheit nicht aus dem Ausland importieren zu müssen, sondern heimische Landwirte zu unterstützen. Es ist noch viel Forschung nötig, bis alternative Proteinquellen beim Geschmack und beim Preis auf Augenhöhe mit den tierischen Pendants sind, das gilt im Bereich pflanzlicher Proteine, insbesondere aber bei Lebensmitteln auf Basis von Fermentation und Zellkultivierung. Dafür müssen mehr öffentliche Gelder bereitgestellt werden, um die Abhängigkeit von Venture Capital zu verringern. Investitionen sind nötig, um diesen Marktsektor systematisch zu erschließen, und im Hinblick auf Steuern und Subventionen sollte sichergestellt werden, dass nachhaltige Alternativen nicht benachteiligt werden.“

Prof. Dr. Nick Lin-Hi fasst zusammen: „Wir brauchen eine koordinierte Kraftanstrengung aller Akteure in der Agrar- und Ernährungsindustrie – von den Landwirten bis hin zum Einzelhandel und der Politik. Wir müssen die Kompetenzen der Einzelnen neu nutzen und eine Vision, einen Masterplan entwickeln, wie die Zukunft der Fleischerzeugung aussieht. Auf dieser Basis können wir vielversprechende Handlungsfelder für Deutschland definieren. Wir haben hierzulande viele Potenziale und ich bin überzeugt, dass wir erfolgreich im Markt der Zukunft tätig sein können.“

Letztlich entscheiden die Kunden an der Supermarkttheke, beim Metzger oder in der Gastronomie wofür sie sich entscheiden. „Wir müssen allerdings den Willen haben und dürfen uns nicht von der Angst vor Veränderung lähmen lassen. Es ist besser, aktiv zu gestalten als abzuwarten und zuzuschauen, was andere machen“, fasst Prof. Dr. Nick Lin-Hi zusammen.

Beitragsfoto: Fotomontage © Canva

Newsletter abonnieren
Möchten Sie den Newsletter von „NRW is(s)t gut“ erhalten? Dann senden Sie uns bitte mit nachstehendem Formular Ihre Kontaktangaben:

Für den Versand unserer Newsletter nutzen wir rapidmail. Mit Ihrer Anmeldung stimmen Sie zu, dass die eingegebenen Daten an rapidmail übermittelt werden. Beachten Sie bitte deren AGB und Datenschutzbestimmungen .